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Herausforderungen der MeToo-Berichterstattung

Juliane Löffler: Missbrauch, Macht & Medien. Was #MeToo in Deutschland verändert hat. München: DVA, Hamburg: SPIEGELBuchverlag, 2024, 180 Seiten, € 23,70.

Gelesen von Gitti Geiger

Seit 2017 der Weinstein-Skandal die weltweite MeToo-Bewegung auslöste und überall Fälle von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch publik wurden, stieg das Medieninteresse am Thema auch jenseits reiner Sensationsberichterstattung. Juliane Löffler rekapituliert in „Missbrauch, Macht & Medien“ aus der Perspektive einer auf LGBT- und Frauenrechte und speziell auf Missbrauchsfälle spezialisierten Journalistin (BuzzFeed News, DER SPIEGEL) die Geschichte von MeToo in Deutschland. Sie erörtert fundiert und differenziert den Themenkomplex, wobei sie Probleme und Herausforderungen anhand konkreter Beispiele, unterschiedlicher Kontexte und besonders lohnend an einigen der prominenten Fälle (z. B. Julian Reichelt, BILD-Zeitung), in die sie selbst journalistisch involviert war, schildert.
Das Buch beginnt mit einem kurzen Abriss zur (digitalen) Vor-Geschichte der MeToo-Bewegung, grundlegenden Informationen zu sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch und der Bedeutung von konkreten Fällen und Namen für mediale Aufmerksamkeit. Den Hauptfokus bilden die vielen Fallstricke, Probleme und Herausforderungen, die mit dem Öffentlich­machen von Missbrauch und sexualisierter Gewalt bis heute verbunden sind. Nach wie vor erfordert es großen Mut, insbesondere bei großem Machtgefälle, mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen, sich mit Schamgefühlen und Schuldzuweisungen zu konfrontieren. Recherchen erfordern daher Geduld, Sensibilität, große Verantwortung, auch professionelle Unterstützung, insbesondere bei traumatisierten Opfern. Sie erläutert die presserechtlichen Rahmenbedingungen von Verdachts­bericht­erstattung, die MeToo-Fälle anfangs ja meist sind: vom Formulieren im Konjunktiv, Darlegen der Indizien, Anhören beider Seiten und sorgfältigem Abwägen zwischen öffentlichem Interesse und Persönlichkeitsrechten und der Gefahr oft langwieriger presserechlicher Verfahren. Dazu kommen oft aggressive Strategien der Verteidigung, die Glaubwürdigkeit der Opfer­zeugin zu untergraben, immer professionellere strategische Prozess­begleitung durch Litigation-PR. Neben den Versuchen, Betroffene wieder zum Schweigen zu bringen, sieht Löffler eindeutige Fortschritte: im gesellschaftlichen Bewusstsein, einem bei Me- Too heute professioneller agierenden Journalismus mit investigativer Recherche und zum Teil auch spezialisierten Teams, (Compliance-)Regelungen in vielen Institutionen und Anlaufstellen wie z. B. in Österreich vera* – Vertrauens­stelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport.
Ein gut lesbares Buch, sorgfältig und reflektiert geschrieben, das vom großen Erfahrungsschatz und Engagement profitiert.

Brigitte Geiger ist Medien- und Kommunikationswissenschafterin, Universitätslektorin und im Vorstand von STICHWORT.


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