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Für die Politisierung des Liebens und gegen dessen
kapitalistische Privatisierung

lann hornscheidt: Zu Lieben. Lieben als politisches Handeln. Kapitalismus entlieben. Berlin: w_orten & meer, 2018, 285+155 Seiten, € 8,30

Gelesen von Meike Lauggas

Als Lieben zu einer privaten und intimen Angelegenheit reduziert wurde, führte dies sowohl zu dessen Verunmöglichung als auch Entpolitisierung. Diese Ausgangsüberlegung führt durch die zwei Bücher von Lann Hornscheidt, die als ein Exemplar gemeinsam gebunden sich schlüssig ergänzen und bei Literaturverzeichnis und Danksagungen treffen: Hornscheidt teilt darin jahrelanges Denken und Suchen, Überlegungen und Erfahrungen in Bezug auf Lieben, Beziehungen und dem Wunsch nach Weltveränderung. Es geht um nichts Geringeres als die Rettung des von kapitalistischen Zurichtungen befreiten Liebens als politisches Handeln. Zitiert werden dabei zahlreiche wissenschaftliche wie auch belletristische Texte, die erklären, berühren, veranschaulichen, mitnehmen.

In dem einen Buchteil werden die Zusammenhänge von Kapitalismus mit objekthaften, entfremdenden Liebeskonzepten aufgezeigt, und wie sie eine Welt- und Selbstverbundenheit verhindern (= Ego-Liebe). Doppelt so ausführlich widmet sich Hornscheidt aber dem Handelnden am Lieben, mit Selbstlieben als Voraussetzung. So gesehen wird Lieben zum diskriminierungskritischen Weg und politischen Handeln, das grundlegenden Verzicht auf Gewalt – auch als Gegengewalt – erfordert. Neue Kommunikations- und Ausdrucksformen, eine neue Sprache sind dafür nötig und das ist nicht einfach. Das ganze Buch ist beispielhaft dafür, wie das gehen könnte – und wie komplex und herausfordernd das auch ist. Begriffe wie ent-nannt weiße, cis-frauisierte, nicht-beHinderte oder ecs-gegenderte Personen oder Nah-Beziehungen brauchen Zeit, um entschlüsselt und verstanden zu werden, Gaps finden sich auch mitten im W_ort, Heter@normen lassen sich lateinamerikanische Aktivist_innen zitierend so als mit a und o zugleich endend benennen. Auch die Schriftsetzungen variieren entlang der verschiedenen Textsorten, es wechseln der hauptsächliche Fließtext mit inhaltlicher Darstellung, Persönliches in Courier-Schrift und grafisch darstellte Notizzettel mit Ringlochung oben für zentrale Aussagen, links für Reflexionsübungen.

Ein kleines, kompaktes Büchlein voller Weltbezug, politischem Begehren, Freude an Fühlen und inspirierender Literatur als Handlungsgrundlage für die kleine tägliche Rebellion gegen die Entmenschlichung und in gutem Kontakt mit dem Verändernden im gemeinsamen Dasein.

Meike Lauggas ist Redakteurin der feministischen Rezensionszeitschrift WeiberDiwan, lehrt an den Gender Studies in Wien und arbeitet weiters als Trainerin, Coach und Organisationsberaterin: www.meikelauggas.at


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