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Lebenssorge als Widerstandspraxis

Maria Prieler-Woldan: Das Selbstverständliche tun – Die Salzburger Bäuerin Maria Etzer und ihr verbotener Einsatz für Fremde im Nationalsozialismus. Mit einem Nachwort von Brigitte Menne. Innsbruck, Wien, Bozen: Studien-Verlag, 2018, 240 Seiten, € 24,90

Gelesen von Margret Lammert

Die Forschungsarbeit behandelt als Fokus das widerfahrene Unrecht der verwitweten Salzburger Bergbäuerin Maria Etzer, die im Nationalsozialismus zu drei Jahren Haft verurteilt wird. Ihr wird vorgeworfen, dass sie einen verbotenen Umgang mit französischen Zwangsarbeitern gepflegt habe. Ihre Familie, in der es auch nationalsozialistische AnhängerInnen gibt, verhält sich ihr gegenüber ambivalent. Es wird nie eindeutig geklärt, wer sie denunziert hat, Anzeichen sprechen dafür, dass es ein Nachbar gewesen ist. Ihr Fall und ähnliche, die in der Nachkriegszeit als „Geschlechtsverkehrverbrechen“ bezeichnet werden, werden lange Jahre von der Öffentlichkeit und der Wissenschaft ausgeblendet. Etzers Lebenssorge, menschlich im konkreten Fall zu Kriegsgefangenen gewesen zu sein, wird als nicht-politische Handlung diskreditiert. Eine Rehabilitierung und Anerkennung als Opfer erreicht sie zu Lebzeiten nicht. Eine Opferfürsorgerente bleibt ihr trotz zahlreicher Ansuchen bei den zuständigen Behörden und Gerichten versagt.
Zunächst führt die Historikerin Prieler-Woldan abstrakt in das Thema ein, in dem sie die historischen Lebensumstände mit ökonomischen Daten untermauert. Sie legt dar, warum sich in einer wirtschaftlich instabilen Zeit Menschen gegenüber einer totalitären Ideologie empfänglich zeigen.
Motiviert und unterstützt durch die Enkelin von Maria Etzer, Brigitte Menne, verfolgt Prieler-Woldan dann die konkrete Spurensuche nach Etzer, die bereits 1960 verstorben ist, sowohl anhand von Gesprächen mit ZeitzeugInnen als auch durch in Archiven gefundene Quellen und mittels Sekundärmaterialien. Die Autorin rekonstruiert die misslungene geistige Entnazifizierung nach 1945, so dass deutlich wird, dass unsagbares Unrecht fortgeschrieben wurde. Prieler-Woldan stellt das Konzept der Lebenssorge, hier als weibliche Widerstandsspraxis, gelungen vor. Ein wichtiger Beitrag in einer Zeit, in der unangepasstes Verhalten und Menschlichkeit nicht erwünscht sind und das Einschränken von Menschenrechten politisch von Regierungsparteien laut diskutiert wird. Wehret den Anfängen! Posthum wurde Etzer nach der Veröffentlichung des Werkes im Herbst 2018, also fast 60 Jahre später, rehabilitiert, nachdem der Fall in verschiedenen Medien thematisiert worden war.

Die Rezensentin ist Redakteurin der Rezensionszeitschrift WeiberDiwan.


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