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Feministische Weltveränderung

Jessa Crispin: Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest. Aus dem amerik. Engl. von Conny Lösch, Berlin: Suhrkamp 2018, 147 Seiten, € 13,40

Gelesen von Meike Lauggas

Flachfeminismus, Oberflächenfemismus, Choice-Feminismus – dagegen wütet Jessa Crispin an, wenn sie anfänglich erklärt, warum sie keine Feministin ist. Sie geißelt jene, die sich ein überteuertes T-Shirt kaufen, auf dem „I’m a feminist“ steht, die sich in individueller Selbsthilfe ergehen und es sich sonst in patriarchalen Verhältnissen gemütlich machen. „Feminismus war immer eine Randkultur“, bestand aus „Aktivistinnen, Radikalen und Spinnerinnen“, an die Crispin erinnern und anschließen will. Manifestgemäß in Ton und Stil – und damit auch immer wieder recht undifferenziert – geht es ihr um eine umfassende feministische Revolution, die nicht am Vorhandenen kosmetisch herumbastelt, sondern neue Gesellschaftsentwürfe anstrebt: Menschen sollen in ihrer Unterschiedlichkeit und strukturellen Bedingtheit ernst genommen werden, in allem, was sie alltäglich tun und verantworten.

Bei Feminismus geht es ihr um Sprechpositionen als Marginalisierte und die Verbündung mit ihnen und anderen Entmachteten. Schließlich geht es um nichts weniger als neue, menschliche Werte und Definitionen von Erfolg, Glück und Lebenssinn. Auch kapitalistische und diskriminierende Verhältnisse werden dabei Thema und sind aus ihrer feministischen Utopie nicht wegzudenken. Crispin wendet sich wiederholt ganz konkret gegen Frauen, die mitmachen und profitieren, die ältere Feministinnengenerationen diskreditieren und naiv glauben, durch Anpassung und Lächeln diese – etwas gar pauschal und vereinheitlicht dargestellten globalen – Verhältnisse von innen verändern zu können. Die „kognitive Dissonanz“ zwischen dem Wissen um gesellschaftliche Zustände und individuellem Wohlbefinden, die viele Frauen wohl immer wieder erleben, gälte es produktiv zu machen, die eigene Macht jeweils einzusetzen und Gesellschaft tagtäglich neu zu imaginieren, zu denken, umzugestalten. Crispin bezieht sich auf feministische Ahninnen, die es zu lesen gilt, fordert deren differenzierte Wertschätzung, um schließlich eine starke, unbequeme Feministin* zu werden.

Kontraproduktiv ist, dass dem usa-bezogenen Buch eine angemessene Übersetzung ins Deutsche fehlt: So ist es der Intention des Textes regelrecht widersprechend, den rassistischen Begriff „Farbige“ für Women of Color zu verwenden, die – sofern Übersetzer*innen gewillt sind, sie zu hören – auch im deutschsprachigen Raum aus gutem Grund Women of Color und Schwarze Frauen für sich verwenden und verwendet wissen wollen. Schal bleibt schließlich zurück, dass Crispin neben „ich“ großzügig ein undefiniertes „Wir“ verwendet und in der Übersetzung Leserinnen mit „Sie“ anspricht. Eine konzeptionelle Leerstelle ist es, nicht zu erfahren, aus welcher Position Jessa Crispin – eine weiße, etablierte Journalistin in den USA – selbst eigentlich schreibt.

Meike Lauggas ist Redakteurin der feministischen Rezensionszeitschrift WeiberDiwan, lehrt an den Gender Studies in Wien und arbeitet weiters als Trainerin, Coach und Organisationsberaterin: www.meikelauggas.at


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