Archiv & Bibliothek  > Rezensionen zurück  
 

Zwischen Lilith und Kalliope

Andrea Rudolph, Gabriela Jelitto-Piechulik, Monika Wójcik-Bednarz (Hg.): Geschlecht und Gedächtnis. Österreichische Autorinnen prüfen Geschichtsmythen (= Transkulturelle Forschungen an den Österreich-Bibliotheken im Ausland 18). Wien: new academic press, 2020, 200 Seiten, € 34,50

Gelesen von Helga Widtmann

Ausgangspunkt und Anregung für diesen Sammelband war eine Ausstellung unter dem Titel „Kalliope Austria: Frauen in Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft“, die von der Sektion für kulturelle Auslandsbeziehungen des österreichischen Außenministeriums initiiert wurde. Die Herausgeberinnen des davon ausgehenden Sammelbandes wollten einen Gegenpol zur doch recht patriarchal konnotierten Kalliope finden und daher wurde nun Lilith, Symbol für feministisches Aufbegehren der 70er und 80er Jahre und widerständige Figur in jüdisch-feministischen Ansätzen ausgewählt, wobei Lilith für die BeiträgerInnen dieses Bandes für einen „Stachel zu neuem Durchdenken, zu einem frischen Sehen“ steht. Und mit diesem frischen Sehen gehen die Autorinnen der Beiträge an ein breites Spektrum von Themen heran: Von „Männlichkeitsentwürfen in Theaterstücken österreichischer Dramatikerinnen“ (Barbara Hindinger) über „Ricarda Huchs biographische und ästhetische Projektionen auf Österreich“ (Gabriela Jelitto-Piechulik) und „Bilder des (weiblichen) Alterns im Werk von Anna Mitgutsch“ (Johanna Drynda) bis zu „Kathrin Rögglas Poetik des literarischen Krisenmanagements“ (Joanna Jabłkowska) spannt sich der Bogen der Beitragsthemen. Monika Wójcik-Bednarz untersucht in ihrem Artikel über „Humorstrategien im Erinnerungsdiskurs einer jüdisch-österreichischen Familie. Eva Menasses Roman Vienna“ mit eben diesem frischen Sehen, wie Eva Menasse in ihrem Roman humoristische Strategien verwendet, um eine Familiengeschichte zu erzählen, in der es auch um Entwurzelung, um die Identitätssuche einer jüdisch-katholischen Wiener Familie und um das Schweigen in der Nachkriegszeit geht, und weist auf Menasses „Plädoyer für pluralistische und mehrstimmige Narrationen“ hin. Andrea Rudolph analysiert in „Transgenerationale Weitergabe von Holocaust- Traumata verstehen und überwinden. Erica Fischers Himmelstraße – Geschichte einer Emanzipation“, wie die Autorin sich vom Trauma ihrer Mutter, einer Holocaust-Überlebenden, befreien konnte und wie durch ihr „selbstbetroffenes Erzählen“ vertieftes Begreifen für die Leserin möglich wird.

Helga Widtmann ist Buchhändlerin, Bibliothekarin und Mitarbeiterin von STICHWORT.


> nächste
< vorige
top   zurück