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Machen Sie Platz Monsieur – Nehmen Sie Platz Madame!
50 Jahre Schweizer Frauengeschichte

Denise Schmid (Hg.): Jeder Frau ihre Stimme. 50 Jahre Frauengeschichte 1971–2021. Zürich: Hier und Jetzt, 2020, 256 Seiten, € 40,10.

Gelesen von Elena Fürst

Als eines der letzten europäischen Länder führt die Schweiz im Februar 1971 das Frauenstimm- und Frauenwahlrecht auf eidgenössischer Ebene ein (der Kanton Appenzell folgt dieser Entscheidung wohlgemerkt erst nach einem Bundesgerichtsbeschluss 1990). Im Dezember 2020 stimmt das Schweizer Parlament für die Eheschließung gleichgeschlechtlicher Paare (das Referendum ist noch abzuwarten). Dazwischen ist viel passiert, wie die Historikerinnen Elisabeth Joris, Anja Suter, Fabienne Amlinger, Leena Schmitter und Angelika Hardegger in diesem Sammelband zum 50-Jahr-Jubiläum des Stimmrechts berichten. Einleitend gibt Caroline Arni eine kleine Einführung in die Demokratiegeschichte der Schweiz, in der Frauen, Jahrzehnte noch nachdem die ersten Frauenvereine gegründet wurden, um politische Rechte für sich einzufordern, „Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht“ blieben. Der Sammelband verdeutlicht in fünf Essays – einem pro Jahrzehnt –, dass das Frauenwahlrecht nur als der erste Meilenstein in der Schweizer Frauengeschichte auftritt und berichtet vom andauernden Kampf um politische Rechte und gesetzliche Gleichstellung in den 1970er- und 1980er-Jahren, wobei die Frauenvereine nun von Kollektiven abgelöst werden. Auch mit der Lesbenbewegung und der Frauengesundheitsbewegung setzen sich die Essays von Joris, Suter und Amlinger auseinander. Die 1990er-Jahre sind vor allem von Skandalen in der konservativen Politlandschaft, aber auch von landesweiten Protesten (Stichwort: Frauenstreik) geprägt. Im neuen Jahrtausend, dem sich Schmitter und Hardegger widmen, gewinnt die digitale Vernetzung von Feministinnen an Bedeutung, wodurch der internationale Austausch (Stichwort: Ladyfest) bekräftigt wird. Und nicht zuletzt führte die #MeToo-Bewegung in der jüngsten Geschichte auch in der Schweiz zu einer öffentlichen und vor allem medienwirksamen Diskussion feministischer Anliegen.
In jedem Jahrzehnt sind den Essays biographische Porträts wichtiger Persönlichkeiten der Schweizer Frauen- und LGBTIQ*-Geschichte beigefügt, wie von der ersten Bundesrichterin, Margrith Bigler-Eggenberger, oder von Rina Nissim, Mitgründerin des Frauengesundheitszentrums Genf. Der Sammelband besticht nicht nur durch gut recherchierte und teilweise anekdotische Erörterungen der Schweizer Frauengeschichte, sondern auch durch seine äußert aufwendig kuratierte Gesamterscheinung. Fotografische Zeitdokumente sowie Abbildungen von Plakaten und Zeitschriftencovers illustrieren die komplexen historischen Zusammenhänge und ermöglichen somit konkrete Einblicke in die Bewegungsgeschichte. Außerdem gibt eine Chronologie im Anhang einen Überblick über Meilensteine und einschneidende Ereignisse von 1971 bis 2021, die zudem mit Schlagworten des Sammelbandes – Frauenstimmrecht, Abtreibungsfrage, Lesbenbewegung, Frauenräume etc. – versehen sind.

Elena Fürst ist Literaturwissenschafterin und arbeitet als Bibliothekarin im STICHWORT.


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