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Flüchtiges Porträt

Jutta Sauer: „Wie nur ein Haifisch trösten kann“. Ilse Aichinger. Ein Porträt. Berlin: AvivA Verlag, 2021, 214 Seiten, € 20,60.

Gelesen von Helga Widtmann

Vielleicht hätte das die porträtierte, 2016 verstorbene Autorin sogar gefreut: Dass anlässlich des 100. Geburtstag von Ilse Aichinger ein so in jedem Wortsinn flüchtiges Porträt von der deutschen Literatur- und Kunst­wissenschafterin Jutta Sauer verfasst wurde, in dem die Leser*innen viel erfahren, anhand von vielen Zitaten von Zeitgenoss*innen, anhand von Zitaten aus Ilse Aichingers Texten und anhand von Hintergrundinformationen, die leider manchmal nicht präzise genug recherchiert sind (so wird z. B. aus dem Hotel Métropole, dem Gestapo- Hauptquartier in Wien, das Hotel Monopol). Trotzdem entsteht ein sehr diskretes Porträt der Überlebenden im Wien der Nazizeit, der jungen Autorin im Kreis der Gruppe 47, der Schwester, die ihrer nach Großbritannien entkommenen Zwillingsschwester berührende Karten schreibt, der Autorin während ihrer Ehe mit Günter Eich, der von Schicksals­schlägen wie dem Tod des Sohnes und von engen Weggefährten Getroffenen, der jahrelang Schweigenden und der in späten Lebensjahren wieder als Kinogängerin Publizierenden und durchaus streitbar Agierenden. Nach der Lektüre dieses Porträts werden sicher viele Leser*innen angeregt sein, sich anhand zum Beispiel der nun verfügbaren Editionen der Briefe zwischen Ilse und Helga Aichinger (Edition Korrespondenzen, 2021) oder des Briefwechsels zwischen Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger und Günter Eich (Piper/Suhrkamp, 2021) ein eigenes Bild zu machen. So ist der Autorin Jutta Sauer und dem Verlag für die Anregung zur eigenen Lektüre zu danken (und beiden ein sorgfältigeres Lektorat zu wünschen).

Helga Widtmann ist Buchhändlerin, Bibliothekarin und Mitarbeiterin von STICHWORT.


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