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Im Archiv mit Nora Ruck und ihrem Forschungsteam:

„Das Psychologische ist politisch“.
Zur Geschichte feministischer Psychologien in Wien, 1972–2000

Nora Ruck: Im Rahmen eines Postdoc-Forschungsaufenthalts an der York University in Toronto lernte ich 2013 Alexandra Rutherford kennen, die in ihrem Projekt Feminist Voices die Geschichte feministischer Psychologien v. a. in den USA und in Kanada aufarbeitet. Durch ihre Forschung fiel mir auf, dass ich nichts über die Geschichte feministischer Psychologien im deutsch­sprachigen Raum wusste und auch kaum Forschungsliteratur dazu zu finden war. Zurück in Wien begann ich mit Vera Luckgei, die gerade auf der Suche nach einem Masterarbeitsthema in Psychologie war, darüber nachzudenken, diese Forschungslücke zunächst für die Geschichte feministischer Psychologie in Wien aufzuarbeiten. Seit Oktober 2018 bis September 2021 wird dieses Anliegen vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF (P 31123-G29) gefördert. Teil des Forschungsteams sind bzw. waren die Psycholog*innen Vera Luckgei, Elisabeth Parzer, Max Beck, Florian Knasmüller und Nina Franke sowie die Soziologin Barbara Rothmüller. Ich selbst bin neben der Projektleitung von „The Psychological is Political“ Assistenzprofessorin an der Fakultät für Psychologie der Sigmund Freud PrivatUniversität, wo ich den Masterstudiengang Sozialpsychologie und psychosoziale Praxis mit aufgebaut habe, Sozialpsychologie und Psycho­logie­geschichte lehre und derzeit das PhD Studium in Psychologie leite.

„Emanzipation bedeutet die Befreiung von psychischen Zwängen“ – Feminismus und Psychologie in Wien
Die Psychologiegeschichte beschäftigt sich seit etwa einem Jahrzehnt mit der Geschichte feministischer Psychologien. Im Gegensatz zum anglo­amerikanischen Raum haben feministische Psychologien in den deutsch­sprachigen Ländern kaum an den Universitäten Fuß gefasst. Es ist nicht zuletzt diesem Umstand geschuldet, dass sich bisher auch kaum Forschungen über die Entwicklung feministisch-psychologischer Ansätze im deutschsprachigen Raum finden lassen. Wir gehen allerdings in unserem Projekt davon aus, dass eine Perspektive, die sich vor allem für Akademi­sierungs­prozesse feministischer Psychologien interessiert, so wie sie für die Geschichte feministischer Psychologien in den angloamerikanischen Ländern gängig ist, den Entwicklungen in Österreich nicht angemessen ist. Wir untersuchen daher mit einem breiteren Blick mithilfe von Archivrecherchen v. a. im STICHWORT-Archiv sowie anhand von Interviews mit Akteurinnen, wie und von wem in Wien zwischen 1972 und 2000 Wissen über die psychischen Auswirkungen und Voraussetzungen von vergeschlechtlichten Macht- und Herrschaftsverhältnissen produziert wurde: zum Beispiel in Selbsterfahrungs­gruppen in aktivistischen Kontexten, in Beratungs- und Informationsstellen und an der Universität Wien.
Von psychischer Befreiung zur Frauenberatung
Vera Luckgei: Um uns einen Überblick über die in dem untersuchten Zeitraum geführten Debatten und Diskurse zu verschaffen, boten zunächst die Zeitschriftenbestände von STICHWORT Aufschluss, wie die autonom-feministisch herausgegebenen Magazine An.schläge oder AUF – eine Frauenzeitschrift. Wenn in letzterer für uns relevante Themen angeschnitten wurden, haben wir die ebenfalls von der AUF herausgegebene Frauen-Info zur Vertiefung herangezogen. Diese Medien ermöglichten es uns, einen Blick in die Wiener Frauenszene der 1980er und 1990er Jahre zu werfen und einen Eindruck dafür zu bekommen, welche Rolle Aktivistinnen der Zweiten Frauenbewegung psychologischen Prozessen zumaßen. Auf institutioneller Ebene sind die ab den 1980er Jahren in Wien gegründeten Frauenberatungs­stellen die Orte, in denen psychologisches mit feministischem Wissen zusammengeführt wurde. Wissensbestände aus der Beratungspraxis fanden im weiteren Verlauf mehrfach Eingang in die akademische Psychologie. Daher sind die vielfach ausschließlich im STICHWORT archivierten Materialien zu den beratenden Frauengruppen für unsere Forschung von immenser Bedeutung. Die Archivmaterialien dokumentieren die Entstehung und Entwicklung der von uns untersuchten Institutionen, wie z. B. die der ersten Frauenberatungsstelle Österreichs Frauen beraten Frauen (heute Frauen* beraten Frauen*). Es wird sichtbar, welche Themen wann aufkamen und wie die Beraterinnen sich in frauenpolitischen Debatten positionierten. Mit Hilfe der Materialien gelingt es, einen zeitgeschichtlichen Rahmen herzustellen, in dem wir die Aussagen unserer Interviewpartnerinnen verorten und den Verlauf interner Diskussionen nachzeichnen können.





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